Inselhopping

Wolfgang Pennwieser, „Jeder Mensch ist eine Insel“, erschienen im Czernin Verlag

Jeder Mensch ist eine Insel“ von Wolfgang Pennwieser, erschienen im Czernin Verlag, erzählt die Geschichte einer Randfigur der Gesellschaft. Da ist die sehr ungemütliche Beziehung zur Mutter, da ist die Einsamkeit, da ist die Diskriminierung, da sind die Stimmen im Kopf. Hauptfigur Wallner hat’s nicht leicht. Da ist aber auch die Freundschaft, da ist der Mut und da sind sie, die Schrulligkeiten im Leben. Aber Halt! Nicht nur Einblicke in das Leben und Empfinden des Protagonisten stehen hier im Mittelpunkt, sondern auch jene in das Denken und menschliche (also oft „ung’schickte“) Handeln anderer Figuren finden hier ihren Platz. Auf zur Inselexpedition, dachte ich mir.


Ein Mann namens Wallner

Wallner lebt in einer Wahnwelt und hört Stimmen. Um den angsteinflößenden Begleiterinnen in seinem Kopf zu entkommen, bemalt er auf ihn bedrohlich wirkende Gegenstände. Das reicht von der eigenen Wohnzimmerwand bis hin zu Bäumen im Garten oder Mülltonnen auf der Straße. Durch das Bemalen der Objekte verlieren diese an Bedrohlichkeit. Malerei ist also das, was Wallner schützt. So weit, so gut.

Das Problem: Wallner lebt in einer Kleingartensiedlung am Rande von Wien. Wer den Spirit prototypischer Wiener Kleingartensiedlungen kennt, weiß ganz genau, was das bedeutet. Wallner ist seinen Nachbar:innen ein Dorn im Auge. Ein Feind, eine Gefahr. Sie beobachten ihn, tuscheln hinter seinem Rücken über ihn, melden jegliche „Sonderbarkeit“ an den Bürgermeister und die Polizei.

Obwohl sich der Bürgermeister und der von Wallner auf gewisse Art und Weise geschätzte Hausarzt Malik eher wohlwollend hinter ihn stellen, scheint es keinen Weg vorbei an der Einweisung in die Psychiatrie zu geben. Die Diagnose dort: „Paranoide Schizophrenie“. In der Psychiatrie lernt Wallner weitere Patient:innen kennen, beispielsweise Natascha, mit der sich im Laufe der Zeit eine innige Freundschaft entwickelt. Wenn ich mich nun richtig erinnere, ist Natascha die einzige Person, die in der gesamten Geschichte beim Vornamen genannt wird. Vielleicht Zufall, vielleicht aber auch um zu unterstreichen, dass Natascha gleichzeitig die einzige Person zu sein scheint, die es schafft, der Insel namens Wallner tatsächlich nahe zu kommen. Ein Vorname als Symbol für zwischenmenschliche Nähe. Der Gedanke tut gut.

Und plötzlich eine Kultfigur

Da gibt es aber auch Wallners Therapeutin Kronberger, die in ihrem Patienten etwas entdeckt. Sie versteht, dass Wallner mit Reden nicht allzu viel am Hut hat, durch die Malerei jedoch einen Weg findet, sich auszudrücken. Er findet seine eigene Sprache. Kronberger entdeckt jedoch noch etwas in ihm. Talent. Mithilfe von Kronberger und einem Kunstgaleristen, der freilich ein Profi in Vermarktung ist, wird Wallners Können und Ausdruckskraft in der Malerei bestärkt und gefördert.

Und dann geht’s los: Wallner wird ein international bekannter Künstler, ein Star der zur damaligen Zeit recht jungen Kunstrichtung der „Art Brut“. Wallner bekommt durch sein künstlerisches Talent plötzlich etwas, das ihm sein Leben lang verwehrt wurde: Anerkennung. Wie er damit umgehen soll, weiß er nicht. Die Gratwanderung zwischen dem Dasein als Außenseiter und der Genese zur Kultfigur einer Kunstszene ist beim Lesen des Romans immer gegenwärtig:

„Als die Telefonzelle in Wallners Garten angeliefert wurde, war die Aufregung groß in der Kleingartensiedlung. Ein Kranwagen hievte das Telefonhäuschen über den Gartenzaun und stellte es auf dem ungemähten Rasen neben der Gartenhütte ab, die von Wallner inzwischen schon mehrmals übermalt worden war. Jetzt dreht er völlig durch, meinte die Vis-à-vis-Nachbarin im Hauskleid (…) Die Welt um ihn herum vergessend malte er bis zum Einbruch der Dunkelheit. So bemerkte er auch nicht, dass er beim Malen sowohl von seinen Gegnern als auch von seinen Bewunderern beobachtet wurde. Die Vis-à-vis-Nachbarin im Hauskleid sowie der Redakteur der Regionalzeitung spähten über Wallners Gartenzaun und fotografierten ihn beim Malen. Die Nachbarin dokumentierte die Geisteskrankheit, der Redakteur die Schöpferkraft.“

aus „Jeder Mensch ist eine Insel“ von Wolfgang Pennwieser, S. 132

Wallner = Walla?
Oder: Danke für den Flashback

Wem Begriffe wie „Gugging“ und „Art Brut“ bekannt sind, weiß beim ersten Blick auf das Cover: Der Künstler August Walla war wohl wichtige Inspirationsquelle für die fiktive Hauptfigur.

Ich erinnere mich, dass ich für meine Matura im Jahre Schnee eine Fachbereichsarbeit in „Bildnerischer Erziehung“ schrieb. Thema: Die Entstehung und das Wirken der „Art Brut“ am Beispiel von Gugging. Ich war damals hin und weg von Wallas Bemalungen und durfte zu Recherchezwecken die dort ansässigen Kunstschaffenden im Atelier besuchen. Noch nie hatte ich eine so anregende Unterhaltung über Alanis Morissette mit einem der Künstler, der sich als Fan des Jahrhunderts dieser Sängerin entpuppte, während er malte und malte und malte.

Während meines späteren Kunstgeschichte-Studiums hatte ich zwar immer wieder mit dem Thema der Art Brut zu tun, hatte meinen Interessensschwerpunkt jedoch woanders hin verlegt (Wer mich kennt, weiß, dass ich vor Entzückung jauchze, wenn es um Primärfarben und gerade Linien geht).

Wolfgang Pennwieser, „Jeder Mensch ist eine Insel“, erschienen im Czernin Verlag

Und dann geschah es: Im letzten Winter sah ich dieses wunderbare Buchcover auf dem Tisch in der Wohnung meiner Eltern. „Der Mensch ist eine Insel“ von Wolfgang Pennwieser. Prompt gesehen, rief ich: Das Buch will ich auch! Meine Eltern waren froh, ein passendes Weihnachtsgeschenk für mich parat zu haben, der stramme Archetyp einer Win-win-Situation also. Ich bin sehr dankbar, dass ich durch den Roman nun noch einmal in diese Welt eintauchen durfte, die mein Denken zu Themen wie Kunstproduktion, „Künstler:innentum“ und die heilsame Wirkung von Kreativität mitgeformt haben.

Der Autor Wolfgang Pennwieser schreibt nicht nur Bücher und für den Ballesterer, sondern ist ebenso Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Wie praktisch. Seine Schreibweise übrigens mochte ich sehr. Beim Lesen habe ich mich oft bei der Frage erwischt, wie jemand, der sich einem so deutlichen, klaren und nüchternen Schreibstil bedient, gleichzeitig so viel Witz und Einfühlsamkeit transportieren kann. Danke für die Schmunzel-Momente und Chapeau.

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