Ave Paria – Gedichte von Veronique Homann

Mit ihrem kürzlich in der edition tagediebin erschienenen Gedichtheft „Ave Paria“ erzeugt Veronique Homann emotionsgeladene Bilder. Im Interview verrät uns die Autorin, was in den Zeilen ihrer Gedichte steckt (Spoiler: viel Biografisches). Und sie gibt Einblicke in das Leben und Schaffen einer Künstlerin.

Ein blutleeres Herz

Ein blutleeres Herz schmückt das Cover des neuen Lyrikheftes „Ave Paria“ von Veronique Homann. Das ist kein Zufall, wie die Autorin selbst erzählt: „Die Praxis der Lückologie, die ich verfolge, bezieht sich auch aufs Visuelle. Im dritten Gedicht beziehe ich mich direkt auf das weiße Herz, etwas später im Band findet sich ein Gedicht mit dem Titel „Ghost Heart“. Darin geht es um die Resonanz, die das Bild erfahren hat. Für mich schön und faszinierend, für andere irritierend oder gar fürchterlich.“

Dass dieses Foto in der Lage ist, so viel Anstoß zu erregen und die Cover-Wahl Veronique sogar ihren früheren Verlag kosten sollte, hätte die Autorin nicht gedacht. Doch sie hält an ihrer Idee fest und lässt sich und ihre Kunst nicht verbiegen. Das „Ghost Heart“ soll das Titelbild ihres Lyrikheftes werden! Etwas anderes kann die Künstlerin mit sich nicht vereinbaren. Und Veroniques Standhaftigkeit lohnt sich: „Als ich „Ave Paria“ dann an die edition tagediebin herangetragen habe, kam direkt als Reaktion zurück: „Schönes Cover!“ Da wusste ich, meine Arbeit wird dort wertgeschätzt, dort gehört sie hin. Ich bin jopa jotakin und Andrea Knabl, die hinter der edition tagediebin stecken, dafür unendlich dankbar und freue mich sehr über unsere Zusammenarbeit.“

Ave Paria?

Neben dem imposanten Titelbild regt auch der Titel des Lyrikheftes zum Denken an. „Ave Paria“ kommt einem doch irgendwie bekannt vor, oder? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem religiösen Begriff und den Gedichten von Veronique? Die Autorin klärt auf: „Es ist irgendwie Tradition, dass ein Gedichtband benannt wird nach einer Zeile oder einer prägnanten Stelle aus einem Gedicht, das darin vorkommt, in diesem Fall das Gedicht auf Seite 9. Maria wird dort zu Paria, nicht voll, sondern toll der Gnade. Das Gedicht spricht von Gottverlassenheit.“

Gottverlassenheit, blutleere Herzen – was kommt noch? Die Antwort ist: vieles! Denn insgesamt umfasst das Lyrikheft „Ave Paria“ 22 Gedichte, die von verschiedenen Themen und Emotionen geprägt sind, aber auch eine unterschiedliche Entstehungsgeschichte haben. Drei der Gedichte aus „Ave Paria“ hat die Comic-Zeichnerin und Illustratorin Tine Fetz aus Berlin in Bildsprache übertragen.

Illustration von Tine Fetz zum Gedicht „Näher“

Ein Lyrikprojekt in der Psychiatrie

Im ersten Teil des Bandes finden sich titellose Gedichte. Darunter eine Referenz auf das Buchcover sowie ein Abgesang der Avantgarde. Der zweite Teil enthält eine Sammlung von Gedichten, die durch das spannende Projekt „Writers Corner“, mit dem die Autorin bereits bei „Sid Wischi Waschi“ (ihrem ersten Lyrikheft) zusammengearbeitet hat, entstanden sind.

Der „Writers Corner“ lädt Patient:innen einer psychiatrischen Anstalt in Schweden dazu ein, einmal wöchentlich über ein ganz bestimmtes Wort zu schreiben. Als Gästin beteiligte sich Veronique an diesem interessanten Projekt. Über Jahre erhielt sie Wörter wie Kloake oder Harmonie per Mail, Post und auch persönlich und schrieb dazu Gedichte. Was so ein einzelnes Wort alles hervorholen oder provozieren kann, spiegelt sich in den Texten der Künstlerin wider.

Neben den Gedichten aus dem „Writers Corner“ finden sich im zweiten Teil des Bandes auch autobiographische Werke, in denen Veronique ihre Erlebnisse während einer Aufenthaltsresidenz in Stockholm niederschrieb. Darin geht es beispielsweise um ein Zusammentreffen zweier Menschen am Archipel, ein Konzert der amerikanischen Band Pixies im Vergnügungspark Gröna Lund und eine Reminiszenz an den Filmregisseur Ingmar Bergman.

Illustration von Tine Fetz im Lyriheft „Ave Paria“ von Veronique Homann

Idee & Inspiration

Doch wie kommt man eigentlich dazu, Gedichte zu schreiben, will ich von Veronique wissen. Sie sagt: „Meiner Arbeit, die sich nicht ausschließlich auf Lyrik beschränkt, liegt das Credo zugrunde, dass eine Idee die Art ihrer Umsetzung diktiert. Für manche Ideen eignet sich Lyrik nicht, anderen Ideen wiederum können nur mit Lyrik ausgedrückt werden. Auf diese Weise sind eine Handvoll Gedichte entstanden, während ich auch Prosa geschrieben oder Skulpturen aus Kunstharz gegossen habe.“

Veroniques künstlerisches Schaffen ist also sehr vielfältig. Inspiration geben ihr oft ihre eigenen Werke. „Meine Arbeiten sind ziemlich miteinander verstrickt und verwoben. Mir bereitet es Spaß, eine abgeschlossene Arbeit zu reflektieren und das Resultat weiterzuverwenden. Indem ich die Arbeiten miteinander in Verbindung setze, bauen sie in der ein oder anderen Form aufeinander auf und kreieren ein Gesamtes, das aus sich selbst heraus erwächst. Mir ist meine eigene Arbeit eine große Quelle und der Gedanke dabei ist, aus einer Idee so viel herauszuholen wie möglich. Das bedeutet auch, Literatur in andere Kontexte zu setzen wie Video, Audio oder Kunst“, schildert die Künstlerin.

Derzeit fokussiert sich Veronique aufs Schreiben, obwohl sie seit Jahren keinen Schreibtisch besitzt, wie sie selbst sagt: „Ich schreibe ausschließlich am Küchentisch. Alle meine Arbeiten sind an Küchentischen entstanden, selbst während der Residenz in Frankreich letztes Jahr, wo ich die Wahl gehabt hätte zwischen zwei Schreibtischen. Ich brauche zum Schreiben keinen Ausblick, aber ein Gefühl von Weite. Mit einer Wand vor der Nase geht das nicht.“

Illustration von Tine Fetz zum Gedicht „Ozean“

Ein Gefühl von Weite, Vielfalt und das Durchbrechen von Grenzen und emotionalen Schranken vermittelt Veronique auch in ihrem Gedichtheft „Ave Paria“ mit ergreifenden Versen, Humor, aber auch viel food for thought. Eine wärmste Literaturempfehlung.

Veronique Homann: Ave Paria
Mit Illustrationen von Tine Fetz
edition tagediebin, Wien 2024
32 Seiten, illustriert
ISBN: 978-3-903134-02-7
Erscheinungsdatum: 15. April 2024

Cover: The Texas Heart Institute, 2014; Dr. Doris Taylor (CEO Organamet Bio Inc.) holding her invention of the ghost heart.

Zur Künstlerin
Ich heiße Veronique Homann, bin 1990 in Oberpullendorf geboren und seit meiner Geburt nicht mehr dort gewesen. Mein Schreiben hat 2010 mit Musikjournalismus begonnen, seit 2016 fokussiere ich mich auf literarisches Schreiben. Obwohl ich nie in Wien gelebt habe, ist meine Arbeit sehr mit der Stadt verbunden. 2020 durfte ich mein Schaffen bei „ETC. sucht ETC.“ vorstellen, seit 2019 veröffentliche ich im Augustin und 2024 erscheint mein zweites Lyrikheft in der Wiener edition tagediebin. Ich habe auf der Poesiegalerie im 6. Bezirk gelesen, aber auch beim posiefestival berlin, im Literaturhaus Rostock oder vor 400 betrunkenen Brainbombs-Fans in Stockholm. 2021 ist das Lyrikdebüt „Sid Wischi Waschi“ von mir bei der parasitenpresse in Köln erschienen, zudem betreibe ich den Eigenverlag Plackscheißerei, ein Ort für Literatur und Kunst. Nach vielen Jahren in Berlin bin ich seit 2023 wieder in Österreich und lebe aktuell in Vorarlberg, wo ich aufgewachsen bin.

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