Dating Apps: Die Bürde der „richtigen Wahl“

Quelle: Pixabay (maxwaidhas.com)

Wenn du diese Zeilen liest, gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass du nicht nur von Dating Apps gehört, sondern diese auch sogar einmal genutzt hast. Tinder, Hinge, Bumble, Grindr: das sind Namen von Dating Apps, die mit Schmunzeln und manchmal herzlichen, manchmal skurrilen Erzählungen aus dem Freundeskreis herumgereicht werden. Aber von vorne.


Weltweit nutzen über 320 Millionen Nutzer:innen Dating Apps. Die Ziele der Nutzer*innen können von One Night Stands hin zu einer festen Beziehung reichen. 2023 war es sogar jeder zweite Single, der im Internet auf Dating-Plattformen nach Intimität gesucht hat. Eine Parship-Studie zeigte auch, dass Online-Dating wesentlich beliebter ist als das herkömmliche Treffen von potenziellen Gspusis im Freundeskreis.

Nachdem man das eigene Profil samt Bildern und persönlicher Selbst-Beschreibung hochgeladen hat, geht es ans Wischen. Nach rechts wischen ist Daumen hoch, nach links bedeutet lieber nicht. Wenn beide Seiten den jeweils anderen nach rechts gewischt haben (Daumen hoch), dann kommt es zum Match. Erst nach dem Match können beide miteinander chatten. Dann nehmen Dinge ihren Lauf.

Wer sich in Wien schon mal an Dating-Apps gewagt hat, wird vielleicht auch Unterschiede in der Klientel (also in den Profilen) je nach App bemerkt haben. Stereotyp gesagt, hat auf Tinder eher die Fitness Center Gesellschaft eine Heimat gefunden. Bei Männern findet man dann eher die Fotos von entblößten Oberkörpern, natürlich samt gesunder Portion Muskelanteil. Bei Frauen sind es dann vielleicht die Stretchy Hosen. Auf Bumble wiederum müssen Frauen bei einem Match das Gespräch anfangen, sonst verfällt das Match nach 24 Stunden. Bumble hält die Fitness Center Gesellschaft eher vor der Tür. Der Bumble-App wird auch nachgesagt, dass sie tendenziell ein „linkes“ Tinder ist, wo es nicht nur um Oberflächliches geht. Naja, ob das stimmt, muss jede*r für sich herausfinden.

Apps ranken dich

Welche Profile man sieht, hängt aber auch vom jeweiligen Algorithmus (dh regelbasierter Automatisierungsprozess) ab, der in der App hineinprogrammiert worden ist. Bei Tinder wird (grob gesagt) ein Algorithmus verwendet, der so funktioniert: Je mehr Matches du hast, desto höher steigt deine Sichtbarkeit bei anderen Personen auf der App. Weniger schön: man wird gerankt. Dieses Ranking sieht man aber nicht. Diese Reihung kann man selbst erahnen, wie oft man auch ein Match bekommt. Auf der App OkCupid hingegen, fallen die Antworten auf die Fragen, die bei der Profilerstellung beantwortet werden müssen, stärker ins Gewicht und werden für die Matching-Prozesse verwendet. Eine weitere etwas banalere Realität von Dating Apps ist, dass Attraktivität schlicht wichtig ist. Je attraktiver eine Person, desto beliebter (also mehr likes) auf der App und somit mehrere Matches. Der Grund dafür (so heißt es aus einer Studie in der Zeitschrift Manufacturing & Service Operations Management 1) ist einfach, denn beliebtere Profile halten Nutzer*innen länger auf der Plattform, das wiederum verspricht höhere Einnahmen für die dahinterstehenden Konzerne. Dieselbe Studie hat auch versucht „unvoreingenommene Empfehlungen“ herzustellen, bei dem die Beliebtheit (Attraktivität) kein Kriterium im Algorithmus war. Das Ergebnis:  weniger Matches und somit auch weniger Einnahmen. Interessanterweise geht somit eine Steigerung der Matching-Erfolge auch mit höheren Erlösen für das Unternehmen einher.

Geld verdienen die Dating-App-Anbieter durch In-App Verkäufe, Premium Mitgliedschaften, die längeres Swipen erlauben und Werbung. Außerdem werden Daten der Nutzer*innen verkauft.

Konzerne stecken hinter den Apps

Hinter diesen Dating Apps stehen harte marktwirtschaftliche Logiken. Zum Konzern Match Group gehören die Apps Hinge, Tinder und OkCupid. Bumble Inc. zählt zum zweiten großen wirtschaftlichen Konkurrenten auf dem Markt, er hält die Dating-Apps Bumble, Badoo und Fruitz (Letztere ist in Österreich weniger bekannt). Von den global mehr als 320 Millionen Nutzer*innen zahlen rund 20 Millionen für ein bezahltes Abo-Modell. Der Umsatz von Dating Apps belief sich 2023 auf über 5 Milliarden US-Dollar.

Der Markt der Liebe

Dating Apps werden auch aus kultursoziologischer Perspektive analysiert und erforscht. So wird etwa von den Soziolog*innen Carolina Bandinelli und Alessandro Gandini2 erklärt, dass der Erfolg der Dating Apps aus einer kulturellen Logik heraus zu verstehen ist. Liebe werde demnach nicht mehr bzw. nicht so stark wie früher durch soziale und ökonomische Institutionen bestimmt. Vielmehr wurde der zentrale Prozess zur Frage der freien Wahl des Individuums. Es geht somit darum, die „richtige“ Wahl zu treffen. Das Prinzip der richtigen Wahl gilt als ein Navigationsprinzip im „deregulierten Markt“ der Liebe. Die Befreiung aus alten Zwängen, die die Partnerwahl bestimmt haben, bedeutet zugleich aber auch das Aufbürden von Leid für das betreffende Subjekt, das plötzlich die Verantwortung der Wahl hat. Fällt die Entscheidung schlecht aus, hat die Person es sich in dieser Logik selbst zuschulden kommen lassen, also die „falsche“ Wahl getroffen. Diese Art der Freiheit basiert auf der Vorstellung, dass das Individuum seine eigenen (besten) Interessen auch erkennt und entsprechend handelt. Dating-Apps versprechen eine rationalisierte Intimität. Rationalisiert, weil sie Daten wissenschaftlich korrekt in Dateninfrastrukturen und Algorithmen weiterformen. Dabei geht der unkontrollierte, schön-irrationale Aspekt der Liebe bzw. des Sich-Verliebens verloren.

Dating Apps bieten eine Erleichterung der Bürde der „richtigen Wahl“. Als techno-soziales Tool rationalisieren sie den Auswahlprozess auf handliche Weise, bieten schnell wesentliche Informationen vom potenziellen Partner. Zugleich kommt es durch die Apps und deren Erfolg auch zur Reproduktion und Perpetuierung der individualisierten Vorstellung von Intimität und romantischen Beziehungen, und somit zur kapitalistischen Konzeptualisierung von „Liebe als Markt“ (Carolina Bandinelli und Alessandro Gandini), es wird ein „kommodifiziertes Spiel“3 .

Das Individuum auf Dating Plattformen findet sich dem Zwang ausgesetzt (,sofern es die bestmögliche „richtige Wahl“ fällen möchte), sich als „Marke“ zu inszenieren, was die unternehmerische Selbstvermarktung der eigenen Attraktion bedeutet. Dating Apps sind für viele so interessant, weil sie auf einen Schlag (App-Download) einen Markt an unterschiedlichen „Marken“ zur Schau stellen.

Solltest du also single und auf Suche sein, enjoy the wischen.

1    Celdir, ME, Cho, S and Hwang EH (2023) Popularity Bias in Online Dating Platforms: Theory and Empirical Evidence. Manufacturing & Service Operations Management 0(0).

2    Bandinelli C and Gandini A (2022). Dating apps: The uncertainty of marketised love. Cultural Sociology, 16(3), 423-441.

3   Hobbs M, Owen S and Gerber L (2017) Liquid love? Dating apps, sex, relationships and the digital transformation of intimacy. Journal of Sociology 53(2): 271–284.

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