
Museen sind beliebte Ausflugsziele zu Feiertagen und so bilden sich Erinnerungsketten an all die anderen Male, an denen man besagt Museen besucht hat und an die vorherigen Erinnerungszeitpunkte. Ich war am 10.04.2023, dem Ostermontag, im Naturhistorischen Museum für eine innerliche und äußerliche Bestandsaufnahme eines persönlichen, lebenslangen Erinnerungsortes.
Das Naturhistorische Museum begleitet mich schon mein ganzes Leben als konstanter Ort der Reflektion. Lange bevor ich sein Schwesternmuseum, und vor allem dessen Ägyptologische Sammlung, zu schätzen lernte, waren es das dunkle Holz, die Eingelegten und Ausgestopften Tiere in alten Glaskästen, das ewige Zwielicht in seinen reich und eigentümlich dekorierten Sälen, die mich faszinierten. Die ausgestellten Dinosaurier, Haie, Krokodile und sonstige faszinierende Lebewesen verfolgten mich in bizarren Verformungen bis in meine Träume, so sehr beeindruckte mich die in die Jahre gekommene Musealisierung. Doch dieses Jahr war etwas anders. Es lag neben dem Duft von Mottenkugeln auch eine Art Schwermut in der Luft.
Anfänge und Enden
Gesprächige Saalaufsichten waren für mich bis jetzt nicht unbedingt das Aushängeschild des Museums und umso überraschter war ich, als ich mit einem Aufseher von der problematischen Natur einiger Goldgräber Techniken bis zur Ernte vom blauen Blut der Trilobiten für medizinische Zwecke über so ziemlich alles außer Gott plauderte und mit einem anderen über der traurige Nachricht der Schließung des Mikro Theaters – dort wurden mithilfe einer von unten beleuchteten Petrischale, die dann auf die Wand projiziert wurde, Mikroorganismen erklärt – im oberen Stockwerk. Die neuentdeckte Gesprächigkeit der Aufsichten und das Ende einer für mich immer fixen Institution im Museum gingen Hand in Hand, panta rhei. Oder war es doch eine gewisse zeitlose Endzeitstimmung?
Unter Wasser
Vom „Träumen in Formalin“ gibt es zahlreiche Werke. Gedichte, Lieder, Bücher, wissenschaftliche Beobachtungen, die Anzahl der Inspirationen, die das Konservierungsmittel hervorbrachte, scheint endlos. Was kaum verwunderlich ist, wenn man einmal selbst durch die Säle gefüllt mit Exponaten in Glasröhren geht und die ganz eigenwilligen Sinneseindrücke, die wie immer mehr als die Summe ihrer Teile sind, in sich aufnimmt. Zeit scheint in diesen Flüssigkeiten still zu stehen, die Tiere in einer Art ewigen Schlaf gefallen zu sein. Unweigerlich erinnern wir uns hier an Siegmund Freuds Beobachtungen über das Unheimliche. Totes Gewebe, das uns gut bekannte Leben zu imitieren scheint und dann aber doch an Details scheitert ist ein Schaubeispiel für „un-heimlich“. Dazu kommt natürlich das auch die zweite Ebene der unheimlichen Tiefe des Meeres, dieses Lebensraums, der für uns dem Weltall in seiner Merkwürdigkeit nicht unähnlich ist, die bei in Formalin schwimmenden Fischpräparaten mitgedacht wird. Der letzte, ewige Tauchgang im Formalin.
Kreislauf
Die Sonderausstellung über Brasilien und seine teilweise bedrohte Flora und Fauna tut ihr übriges, uns das Verstreichen von Zeit, im wahrstein Sinne des Wortes „Deadlines“, deutlich zu machen. Denn gerade der Versuch Zeit aufzuhalten, führt zum dialektischen Gegenteil, das der Fortlauf der Zeit umso deutlicher zu spüren ist. Das gigantische Deckengemälde „Der Kreislauf des Lebens“ von Hans Canon bei der Großen Stiege des Museums bestärkt endgültig in dieser Bestandsaufnahme, dieser Verhandlung der Zeit. Die geflügelte Sphinx in der Mitte, darunter der Mensch, der die Sanduhr hält, doch nicht aufhalten kann.