
10 Jahre „etc. Magazin“: Eine lange Zeit, eine Dekade in der viel geschehen ist, aber gleichzeitig ist es auch fast wie ein einziger Augenblick. Gerade der Film „Blutgletscher“, der im Gründungsjahr unseres Magazins erschienen ist, kommt mir selbst immer noch wie gestern erst entdeckt vor. Grund genug, den Film, der mit uns zusammen Jubiläum feiert, nochmal anzusehen und revue passieren zu lassen, was er uns denn alles mitgeben möchte.
Die ersten Minuten des Films beginnen mit einer Warnung. Steigende Temperaturen, schmelzende Gletscher, eine Welt, die nie wieder dieselbe sein wird. Damals noch Umweltmessage Brutal, heute eher Alltag. Dennoch sind die Bilder eindringlich und beginnen das folgende Grauen vorherzusagen. Danach Katerstimmung, der Hauptcharakter Janek (Gerhard Liebmann) liegt sichtlich betrunken am Boden, dazu versiffter Rock wie in einer Drogenszenen-Milieustudie, einzig der Hund Tinnitus als treuer Gefährte hellt die Stimmung auf. Unser Macready Stand-in hat eindeutig mit Dämonen zu kämpfen. Die gegenseitige Antipathie der Forscher:innen und des Bergmanns im Forschungscamp in den Alpen muss nicht entfacht werden, die Kluft illustriert durch die abgetrennte Wohnsituation seiner Hütte zum Rest der Station.
Die Natur blutet
Der Blutgletscher ist natürlich eine Metapher, visuell und auch namentlich. Blut ist Leben und Tod in einem, auf jeden Fall Veränderung. Die rote Substanz aus dem aufgetautem Gletscher lässt, nach Jahrtausenden der Inaktivität, die Tier- und Menschenwelt mutieren. „Wir haben die Tore zur Hölle aufgeschmolzen“ konstatiert ein Wissenschaftler der Gruppe, der dann auch passenderweise sein Ende im Feuer findet. Dass eine Ministerin (Marvin Krens Mutter, Brigitte Kren) zu Besuch auf die Bergstation kommt und die ehemalige Lebensgefährtin von Janek mitbringt, macht nichts leichter. „Das Leben findet einen Weg“, und dieser führt durch Haut und Muskelgewebe des Bodyguards der Ministerin. Der Schrecken der Natur nimmt seinen Lauf, da bleibt selbst dem Sepp-Forcher-Verschnitt Bert Krakauer (Wolfgang Pampel) die Luft weg, da fehlt einfach die Sprache.
Der Mensch ist dem Mensch ein Asselhornkäferfuchs
Doch natürlich ist der Feind nicht nur da draußen, sondern der Zwist der Bergstation ist nicht verschwunden, denn die Wissenschaftler:innen wollen ihre Entdeckung noch nicht preisgeben und sabotieren die Kommunikationsversuche mit der Außenwelt und das Dunkel der Nacht naht. Der treue Hund Tinnitus entschläft, erliegt Verletzungen, die ihm von einem Asselhornkäferfuchs zugefügt wurden. Der beste Freund des Menschen – und damit ein Verräter der Natur? – besiegt von einem neuen Feind. „Wir“ – vor allen Dingen die westliche Zivilisation – haben zu oft entschieden, dass die Natur uns im Weg war und jetzt entscheidet sie, dass wir ihr im Weg sind. Die Belagerung der Bergstation, in der sich die Ministerin und ihre Entourage retten, erinnert an „Night of the Living Dead“ mit vernagelten Fenstern und der beklemmenden Situation im Inneren und den mutierten Kreaturen vor der Tür. Wo sich Wespengeier und Ziegenfliegen Gute Nacht sagen.
Es ist schön hier, aber…
„… das nächste Mal fahre ich woanders hin“ sagt die Ministerin. Doch das „hier“ kommt mit den Überlebenden mit. Denn ein Hunde-Menschen-Hybridwesen wird gerettet und darf mit den Überlebenden in den Sonnenaufgang fliehen. Tinnitus lebt so weiter. „Get to the Choppa!“ Doch der Himmel gehört nicht länger nur uns. Ein Ende mit schrecken, oder Schrecken ohne Ende? Die Gletscher bluten weiter.