Verschwommene Erinnerungen im B72

Foto: Mark Angelo Sampan / Pexels

Wie viele Nächte haben wir in den Stadtbahnbögen durchgetanzt? Wie viele Käsekrainer haben wir danach gegessen? Ich weiß es nicht mehr. Höchste Zeit, wieder einmal einen Abend bei einem Konzert im B72 zu verbringen, in der Vergangenheit zu schwelgen und beste Live-Musik von Ocie Elliott zu genießen.


Es ist ein eisig kalter Montagabend im Winter. Eingemummelt in einen riesigen Schal und einer fliederfarbenen Mütze spaziere ich die Stadtbahnbögen entlang. Vorbei am Loft, am Chelsea und am rhiz. Mein Ziel ist das B72. Denn heute spielen Ocie Elliott hier – ein Folk-Duo aus Kanada.

Der Gürtel zählt bestimmt nicht zu den malerischsten Orten Wiens, doch für uns, die wir in dieser Stadt aufgewachsen sind, verbergen sich hier unzählige, machmal etwas verschwommene, aber sehr schöne Erinnerungen. Diese Bögen aus Backstein unter der U6 sind für uns Sinnbild der Jugend und des puren Lebens.

Wie viele Käsekrainer?

Bilder von damals schießen mir in den Kopf und ich muss schmunzeln. Wie viele Nächte haben wir hier durchgetanzt, zu allen möglichen Musik-Stilen? Wie viel Schweiß haben wir vergossen? Wie viele Käsekrainer, Döner, Falafel und Cheeseburger haben wir mit neuen Freund:innen und wiedergetroffenen alten Bekannten gegessen? Wie lange war ich schon nicht mehr bei einem Konzert im B72? Ich weiß es nicht mehr.

Auch wenn Otto Wagner wohl niemals daran gedacht hat, als er die Viadukte für die damalige Stadtbahn entwarf, dass darunter einmal Künstler:innen aus aller Welt Konzerte spielen und DJs Beats droppen werden – heute ist der Gürtel nicht mehr wegzudenken aus Wiens kultigem und pulsierendem Nachtleben.

Sold out

In diesen Gedanken versunken verfliegt mit jedem Schritt, mit dem ich mich einem der berühmtesten Stadtbahnbögen Wiens nähere, meine schlechte Montagslaune, die mich verlässlich nach jedem ersten Arbeitstag der Woche überströmt, bis ich vorm B72 stehe. Die Scheiben sind angelaufen, auf einem Schild vor dem Eingang ist „Sold out“ zu lesen.

Ich freue mich jetzt richtig und fühle mich plötzlich wieder wie 19, als ich sorglos an einem random Montagabend loszog, um Neues zu erleben und einfach ausgelassen zu sein. Die Stimmung im B72 ist entspannt. Obwohl ich diese Menschen nicht kenne, sind wir irgendwie durch die eine Gemeinsamkeit, die wir teilen, miteinander verbunden – wir hören alle gerne Ocie Elliott.

Ein Spritzer in der Hand

Ein Spritzer in der Hand, ein schöner Platz mitten in der Menge und alles ist gut. Als das Folk-Duo auf die Bühne kommt, ziehen sie mich sofort in ihren Bann: Ihre liebevollen Blicke ins Publikum und zueinander, ihr warmes Lachen und vor allem ihre weichen und berührenden Stimmen.

Die Sängerin hat eine unglaubliche Ausstrahlung – wie eine Sonne durchflutet sie den Raum. Immer wieder umklammert sie eine Tasse mit ihren Händen und nimmt einen Schluck, bevor sie ihre Lippen wieder am Mikrofon ansetzt, um ein Lied anzustimmen.

Ocie Elliott singen im CRV auf Youtube

Gänsehaut und Glücksgefühle

Sobald die ersten Akkorde und Töne erklingen, fängt es in mir an zu prickeln. Wie können eine Gitarre und zwei Stimmen so viel Gänsehaut und Glücksgefühl auslösen, frage ich mich und schließe die Augen. Ich will tanzen und einfach nur genießen.

Jedes Mal aufs Neue bin ich erstaunt, wenn ich feststelle, was Live-Musik in mir auslösen und wie viel Energie eine Gruppe von Menschen produzieren kann, die gemeinsam feiert. „I have you and you have me, honey“, eine Zeile aus einem der bekanntesten Songs von Ocie Eliott, ertönt und strahlende Gesichter erfüllen das B72.

Den Moment festhalten

Die Menschen zücken ihre Handys. Sie wollen den Moment festhalten. Doch so fortgeschritten die Technologie heute auch sein mag, dieser Augenblick lässt sich meiner Meinung nach auch mit dem noch so modernsten Gerät nicht speichern und wiederherstellen. Was wir aber in uns behalten und immer wieder abrufen können, sind die schönen Erinnerungen – auch wenn sie manchmal aufgrund von zu vielen Spritzern und der vergangenen Zeit ein bisschen verschwommen sind.

Beflügelt und beglückt spaziere ich nach Hause. Ich werde wieder öfter am Montagabend zu einem Konzert in den Stadtbahnbögen gehen, so mein Fazit des Abends. Und wenn ich daran zurückdenke, spüre ich immer noch ein leichtes Prickeln in mir und freue mich, in so einer coolen Stadt wie Wien leben zu dürfen und bunte Erlebnisse sammeln zu können.

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