
Im Theater an der Gumpendorferstraße ist eine Iphigenie zu sehen, die flucht, tobt und kämpft. In ihrer radikalen Neufassung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“ hat Angelika Messner aus der duldsamen Priesterin eine wortgewaltige Heldin gemacht. Die Wiener Dramaturgin und Regisseurin hat mit uns über die Entstehungsgeschichte des Stücks gesprochen.
Angelika Messner hat bereits Werke von Elfriede Jelinek und Shakespeare inszeniert. Seit Neuestem begeistert sie sich besonders für Überschreibungen klassischer Stoffe. Für das Musiktheater in Linz modernisierte sie zum Beispiel die Operette „Das Dreimäderlhaus“ von Heinrich Berté. Für das TAG (Theater an der Gumpendorferstraße) schrieb und inszenierte sie jetzt eine radikal neue, feministische Version von Goethes „Iphigenie von Tauris“.
Im Original des griechischen Dichters Euripides dient Iphigenie ihrem Vater beinahe als bereitwilliges Menschenopfer, das Göttin Artemis besänftigen soll. Goethe zeichnet Iphigenie als humanistisches Ideal des Pflichtbewusstseins und der Aufopferungsbereitschaft. In Angelika Messners Überschreibung hat Iphigenie endlich genug: Sie begehrt auf, eloquent und kompromisslos.

Womit hat die Geschichte der Iphigenie Ihr Interesse geweckt?
Messner: Ich habe im Original von Goethe befunden, dass Iphigenies Wahlmöglichkeiten zwischen dem Ehemann und dem Bruder sehr beschränkt sind und wollte ihr noch eine weitere Option hinzufügen, nämlich allein wegzugehen.
Was waren die Herausforderungen an der Neufassung von Goethes Text?
Messner: Herausfordernd ist der Text, weil er wunderschön geschrieben ist und Goethe den Blankvers sehr virtuos bedient. Und es ist grundsätzlich herausfordernd, sich an einer so berühmten Vorlage zu messen.
Was wollten Sie im Vergleich zu Goethes Version unbedingt verändern, und warum?
Messner: Unbedingt ändern wollte ich wie bereits anfangs gesagt, die inhaltliche Erweiterung der Wahlmöglichkeiten Iphigenies. Außerdem wollte ich das Setting ändern und sie als heutige Figur erscheinen lassen. Und mir war wichtig, die Iphigenie nicht nur auf der Handlungsebene, sondern auch auf einer Metaebene zu Wort kommen zu lassen, wo sie in ihrem Frausein freier assoziieren kann als rein handlungsgebunden.



Einige Theaterproduktionen und Romane der letzten Jahre erzählen die Geschichten von Frauen der griechischen Mythologie neu, oft aus einer feministischen Perspektive (z.B. der Bestseller-Roman „Ich bin Circe“ von Madeline Miller oder „Medea*“ im Schauspielhaus in Zürich). Wie erklären Sie sich unser Bedürfnis, diese Mythen nochmal anders zu erzählen oder erzählt zu bekommen?
Messner: Mythen haben, das merke ich immer wieder, eine allzeit gültige Qualität. Ein Mythos lässt sich deuten, neudeuten, umerzählen. Das ist das Faszinierende und hat mir der unglaublichen Qualität dieser Geschichten zu tun, die ja oft hochdramatisch und in ihrem Konflikt unauflösbar sind. Ich glaube, das zieht uns Theatermacher:innen einfach magisch an.

Ihre Iphigenie ist durchsetzungsfähig und schlagfertig. Ab welchem Punkt hatten Sie die Figur klar vor Augen?
Messner: Ich hatte ziemlich bald beim Schreiben ein Bild vor Augen, das sich dann im Probenprozess auch noch verändert und erweitert hat. Das Bild in mir wächst permanent, auch jetzt noch, nach der Premiere.
Ein zentrales Element im Stück ist die Musik von Jon Sass. Wie war der Prozess des Integrierens von Musik, Text und Schauspiel?
Messner: Musik war schon beim Schreiben ein wichtiger Aspekt des Stückes. Mit Jon Sass habe ich lange vor Probenbeginn viel über die zu vertonenden Texte gesprochen und wir haben das dann im Probenprozess entwickelt und verfeinert.

„Iphigenie“ frei nach J. W. von Goethe, Text & Regie: Angelika Messner, mit Jens Claßen, Emanuel Fellmer, Andreas Gaida, Michaela Kaspar, Jon Sass, Lisa Schrammel, Georg Schubert, Weitere Vorstellungen