
Mich fasziniert die Stadt als Collage, als Montage – ein Prozess des Aufbauens, Zusammenfügens, Kombinierens, Verflechtens. Unterschiedliche Zeiten, Bedürfnisse, Sehnsüchte, Funktionen treffen aufeinander. Eine Wiener Mischung aus Geträumtem, Geplantem und Gewachsenem, die sich in dieser Stadtflanerie auf kleinstem Raum vielfältig verdichtet.
Von den Bäumen gefallen
Verschwunden sind die fünf Winzer- und Gärtnerhäuser, die diesem Bezirksteil den Namen Fünfhaus gaben.
Nicht ganz verschwunden ist der Schriftzug „Salon der Dame“ am Haus Turnergasse 7. Ghostletters ist ein Projekt des Grafikdesigners Tom Koch. Auslöser war ein Spaziergang in Ottakring, bei dem er mit dem Handy die flüchtigen Spuren abmontierter Schriftzüge an Hauswänden fotografierte. Er veröffentlichte sie auf seiner Facebook Seite, die Resonanz war groß und ein Crowdfunding für Inhalt und Finanzierung folgte. 2017 erschien das Buch „Ghostletters Vienna“. Ist einmal der Blick geschärft, zeigen sich immer mehr solcher Schriften im Urbanen Textfeld.
„Salon der Dame“ klingt doch gleich ganz anders als Frisiersalon …
An der Ecke Turnergasse/Dingelstedtgasse stand der Turnertempel. Er wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 niedergebrannt und zerstört. Nur eine der 93 Synagogen Wiens überstand die Novemberpogrome, der Stadttempel im 1. Bezirk.
Das Areal des Turnertempels wurde nicht verbaut, diese schmerzhafte Stadtlücke wurde 2011 mit einem Projekt von KÖR – Kunst im öffentlichen Raum gefüllt. Die Künstler:innen Iris Andraschek und Hubert Lobnig sowie die Landschaftsplaner:innen Maria Auböck und Janos Kárász gewannen den Wettbewerb. Sie kreierten zwischen Straßen und Gemeindebau einen Gedenkplatz, der Raum für Erinnerungen gibt, aber auch Gelegenheit, den öffentlichen Raum zu bewohnen, an diesem Platz zu verweilen.
Lindenbäume und dunkle Betonbalken gliedern den Platz, sie geben ein Gefühl für die Dimensionen der Synagoge. Gleichzeitig möblieren sie diesen Raum. Mosaikflecken am Boden zeigen Granatäpfel, Feigen, Datteln, Oliven, – als wären sie von den Bäumen gefallen. Sie erinnern an andere Kulturen und Religionen, aber auch an ein Festmahl.

Finde einen Ort, der freundlich ist
In der Gebrüder Langgasse, eine Ecke weiter, verdichtet sich die Kunst. Die Gasse ist nach den Fabrikanten und Wohltätern Anton und Jakob Lang benannt, unter anderem stifteten sie dem Bezirk eine Marienstatue, wie auf Wien Wiki zu lesen ist. Gegenüber der berühmten Rahmenhandlung Mitter hat der Architekt Michael Sykora sein Atelier. Weil seine Frau, die Autorin und Künstlerin Claudia Bitter, nach einem Schaufenster für Ausstellungen suchte und er immer wieder auch Galerist sein wollte, zumindest für kurze Zeit, entwarf und baute er auf Nummer 14 eine Fenstervitrine als kleinen Ausstellungsraum. Die GAGA Vitrina war geboren. GAGA ist ein vielschichtiger Begriff, steht unter anderem für Gassengalerie. Der Platz ist vordergründig nicht charmant, der Gehsteig grau und öde, die Ecke ein wenig versifft. Allerdings wird am Tag der Vernissage auf dem Gehsteig ein Teppich aufgelegt, Tische und Sessel aufgestellt, Wein ausgeschenkt, gesprochen, gelesen, performt und musiziert.
Wie schon Yoko Ono in einem ihrer Stadtstücke aufforderte: „Finde einen Ort, der freundlich ist. Halte diesen Ort sauber. Denke an diesen Ort, wenn du fort bist“.
Die aktuelle Ausstellung „wandern & einkehren“ gestalten Wilhelm Berger, Werner Koroschitz und Gerhard Pilgram. Sie spannen den Raum weit von Wien über die Alpen ans Meer, mit Zitaten von Steinen, Sand, Muscheln und ihren Büchern.

Das Weite suchen
Wir können verschütt oder tiefer gehen, das Weite suchen, zu Rande kommen und aus der Enge näher rücken.
An der Hauswand noch die ehemaligen Tapeten, eine mit Palmen und Meer, Hochbeete, Palettenmöbel, eine Bar, ein food truck, ein Kiosk mit Fanzines, und über allem so eine Stimmung von „summertime and the living is easy“. Die Gruppe Wild im West verwandelt die Baulücke auf der Mariahilferstraße 166 in eine kulturelle Stadtoase.

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