Die Krisen und wir

„Lüg mich an und spiel mit mir“, Vorarlberger Landestheater © Anja Koehler

Das aktionstheater ensemble hat wieder einmal zu einem Vorstellungsreigen im Werk X in Meidling geladen. Dieses Mal zum Theaterstück Lüg mich an und spiel mit mir. Pension Europa 02, quasi einer „Fortsetzung“ zu ihrem Stück Pension Europa (2014).


Einstieg

Etwas hilf- und orientierungslos wirken die sechs Darsteller:innen, wenn sie die Bühne zum ersten Mal betreten und ihre weißen Sessel kreuz und quer durch den Raum tragen. Irgendwie wissen sie nicht so ganz, wo sie eigentlich hingehören. Schließlich nebeneinander auf den Stühlen sitzend vereinigt, geht es in gewohnter Manier los. Es wird zunächst wahllos wirkend dahin geredet. Dass „Inspector Barnaby“ die perfekte Idylle zeigt; dass es ideal ist, um sich nicht mit unserer Realität auseinanderzusetzen. Dass man sich am besten auf einen Einmarsch der russischen Truppen durch das Ansehen von Horrorfilmen vorbereitet. Dass das Theater in letzter Zeit enttäuschend ist usw. usw. Eben gezwungener small talk am Tisch mit anderen Leuten, wenn es um ernstere Themen geht.

Abstieg

Eigentlich wäre es ja wieder einmal Zeit sich zu entspannen, sich eben wie in der Welt von „Inspector Barnaby“ zu fühlen und die Rosen im perfekten Garten zu pflegen, während drinnen der Sonntagsbraten im Ofen vor sich hinbrutzelt, aber leider, ja leider gibt es derzeit da so ein zwei Kleinigkeiten, die uns jeden Tag begleiten: Covid, Klimawandel und seit ein paar Monaten der Krieg in der Ukraine. Diese Umstände, dieses Nicht-Entspannen-Können, dieses Nie-Runterkommen spürt man auf der Bühne. Es ist die Angst der ungewissen Zukunft und die Sehnsucht so mancher Personen, wie die Schweiz für jeden Einwohner/jede Einwohnerin einen Bunker in petto zu haben, falls doch eine Atombombe vom Himmel fällt.

Aufstieg

Wenn man schon eine oder zwei Stücke des aktionstheater ensemble gesehen hat, dann wartet man nur darauf, dass die Situation anfängt zu kippen. Auch bei „Lüg mich nicht an“ musste ich nicht wirklich lange darauf warten. Die anfänglichen Diskussionen führen zu Streitigkeiten, diese zu einem Herumgebrülle, das wiederum zu Schlägereien führte, sodass jeder der Darsteller:innen einmal eine Tracht Prügel kassiert, und das Blut teilweise nur so über die Bühne spritzt. Diese Art der Eskalation habe ich so bei Vorstellungen des aktionstheater ensembles noch nicht gesehen.

„Lüg mich an und spiel mit mir“, Vorarlberger Landestheater © Anja Koehler

Abstieg

Für mich ist das Entscheidende beim aktionstheater ensemble immer die Sprache, der Dialog – Hut ab an Martin Gruber und die Darsteller:innen für den genialen Text. Sprache hat generell den Effekt, dass man sich selbst bei so mancher Aussage ertappt – egal ob diese ausgesprochen wird oder nicht. Nur sprechen eben die Schauspieler:innen alles aus, was sie sich so denken und entlarven dadurch nicht nur sich selbst, sondern die Gesellschaft an sich. Und das besonders Schöne beim aktionstheater ensemble ist, dass den Zuseherinnen ein Spiegel vorgehalten wird, weil eigentlich nimmt man sich als Theaterbesucher:in gerne etwas zu ernst und ist oft der Meinung, dass man ach so reflektiert ist und etwas besser macht als all die anderen Menschen, die „nur“ ins Kino gehen. Eine Handlung im Sinne des „dramatischen Theaters“ findet nicht statt. Das ist das Schöne daran, wenn episches Theater im Sinne Bert Brechts tatsächlich aufgeführt wird. Es funktioniert; besonders dieses Mal ausgezeichnet.

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