Luzifer

© Ulrich Seidl Filmproduktion

Die Ulrich Seidl Filmproduktion brachte dieses Jahr ganze drei gefeierte Filme heraus, eine durchaus beachtliche Leistung. Einer davon ist ein düsterer, einzig- und eigenartiger Film namens „Luzifer“, bei dem der Michael-Haneke-Schüler Peter Brunner sowohl Regie führte, als auch das Drehbuch verfasste.


Vom ersten Moment an merkt man das Unheil, das in der Luft liegt. Kreischende Synthesizer verwandeln sich in Schreie eines Adlers, und ein undurchdringlicher Nebel nimmt einem die Sicht. Dass im Film Religion, Glaube, und Begierde eine Rolle spielen, ist dem Titel her zu entnehmen, doch statt einfach eine Allegorie auf die Vertreibung aus dem Paradies oder des Falls des ersten Engels zu inszenieren, handelt es sich hier sowohl um Amalgam als auch Fortsetzung des biblischen Stoffes. Fest verwoben mit einer wichtigen Umwelt-Message, sodass diese gleichzeitig gut erkenntlich ist, aber nicht schulmeisterlich, moralisierend wirkt. „Wo ist der Teufel?“, fragt die Mutter.

Esst meinen Leib, trinkt mein Blut

Der leibliche „Vater“ des Protagonisten ist beim Bergsteigen gestorben, oder zumindest deuten Zeichen darauf hin. Ein Adler frisst in visionsartigen Sequenzen vom Leib des Toten. Womöglich seine Innereien? Hier ist der janusköpfige Lichtbringer Luzifer und Prometheus. Prometheus verdammte sich selbst und brachte den Menschen Feuer, aus der roten Flamme wurde der Apfel vom Baum der Erkenntnis. Verdammt mit dem Licht der Erkenntnis wurden die Menschen aus dem Paradies vertrieben. Prometheus war ewig dazu verdammt, dass seine Innereien von einem Adler gefressen werden und dass diese immer wieder nachwachsen, genauso wie der Vater in der Erinnerung der Mutter auf ewig vom Adler verspeist wird. Luzifer wurde dazu verbannt, über die Hölle zu herrschen, wie der Vater die Erinnerungen voll Schmerz und Scham beherrscht. „Durch mich gelangt man in die Stadt der Schmerzen“. Doch die Verbindungen enden hier nicht. Denn die Frucht vom Baum der Erkenntnis, die vom jungen Menschengeschlecht verzehrt wird, verbindet auch diese mit dem Adler, der Prometheus‘ Leber verschlingt. Die Leber ist sinnbildlich natürlich auch eine Verbindung zur früheren Alkoholsucht der Mutter, von der sie immer wieder erzählt.

Drohnen als Boten des Unheils

Während über allem Elend sonst die Geier kreisen, sind es hier die Drohnen, die wie Motten zum Licht, von Leid angezogen werden. Alles aufzeichnen, übertragen, dokumentieren, eindringen. Der Schmerz wird von kalten Linsen teilnahmslos reflektiert. Der Lärm, den sie verursachen, als dauernde Bedrohung, ein auditiver Angriff auf die Stille des Paradieses. Der Schwarm verbindet so alten Aberglauben von Unglückstieren mit Zukunftstechnologien und modernen Statussymbolen.

Zeit aus den Fugen

Wenn wir als Menschen großes Leid erfahren, fühlen wir uns oft hilflos. So auch der geistig behinderte Protagonist des Films, der seiner Mutter helfen will, aber nicht weiß, wie. Er betet zu verbrannten Bäumen, Kasteit sich selbst mit den Unglücks-Steigeisen, mit denen sein Vater verunglückt ist (die Dornenkrone wird zum Büßergürtel), und versucht, die Krankheit der Mutter wie einen Dämon zu exorzieren. „Wo ist der Teufel?“, in uns selbst? Doch bereits bevor die Mutter krank wird, scheinen wir uns aus der normalen Welt wegzubewegen und Zeit und Raum scheinen zu verschwimmen, eine Vision einer gewalttätigen Zukunft erscheint, die jedoch nicht im Film selbst zur Gegenwart gehört. Ich habe Kommentare gelesen und habe selber auch darauf gewartet, dass die Handlung eine gewalttätige Richtung einschlägt und Rache zum Zentralmotiv wird, doch ähnlich wie bei dem großartigen Film „PIG“, brodelt der Kessel zwar, jedoch ohne jemals gänzlich überzukochen.

Wo ist der Teufel? Oder besser: Was ist der Teufel? Fragt uns Luzifer, während dem Abstieg in die Unterwelt. Doch während Dante Vergil als Führer hatte, haben wir uns bereits am Anfang verlaufen und stehen vorm See aus Eis.

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