Hundstage – Tage wie Hunde

© Allegro Film

Da man derzeit überall auf Rezensionen zu Ulrich Seidls „Rimini“ stößt, habe ich mir gedacht, es wäre vielleicht interessanter, eine Review über eines seiner älteren Werke zu schreiben, die nicht nur nicht in der Masse der neusten Neuigkeiten unter geht, sondern auch einen guten Kontrast in der schöpferischen Genealogie des Regisseurs erkennen lassen könnte.


Es ist mittlerweile bereits ein alter Hut, die Erkenntnis, dass Wien zehn Jahre hinter der Welt hinterherhinkt, einen alten Hut zu nennen, und dennoch können wir ihr nicht gänzlich entrinnen. „Hundstage“, „ein Film aus dem Jahre 2001“, und nicht 1991, sagt mir zwar Imdb, aber das Feeling des Filmmaterials verrät dies bestimmt nicht selbst. Wobei hier nicht gemeint sein soll, dass Seidls Film veraltet wirkt, nein, schmerzhaft aktuell ist er, sondern die gezeigte Welt scheint steckengeblieben. Von der Definition her erstreckt sich die namensgebende Zeit vom 23. Juli bis 23. August, der Wiener Speckgürtel siedet jedoch ad Infinitum im immer gleichen, eigenen Saft.

Die Welt von gestern

Der 11. September 2001 ist heute jedem eine Begriff. Ein Datum, dass für Veränderung und Unsicherheit steht, eine symbolische Zäsur des Weltgeschehens, das Ende des Neoliberalen (Alp)Traums der 90er Jahre. Wir sehen Leute, die wie gekreuzigt im Schweiße ihres Angesichts, neben ihren Pools in der Vor-stadt liegen, die zur Vor-hölle wird. Mischmaschinen und Rasenmäher dröhnen und Beton breitet sich in Form von einem Friedensbunker nach dem anderen, fälschlicherweise gängig als „Bungalow“ bezeichnet, in der Landschaft aus. Menschen sind anderen Menschen ein Wolf, und die Tage sind Hunde zu allen. Seidl legt hier den Finger nicht nur in eine, sondern in eine ganze Landschaft an Wunden, draußen, drüben in Transdanubien. Die Figuren sind allesamt nicht nur unausstehlich an sich, sondern am meisten unerträglich ist der Gedanke, dass wir auch so sein könnten, dass unser Leben nicht viel anders ist als ihres, dass wir auch so gesehen werden könnten. Die Hitze staut sich weiter auf.

Neid ist ein Hund

Zwietracht, Neid, Lust und manchmal auch schiere Boshaftigkeit aus Langeweile, all das sieht man in Seidls Welt. Endlos vor sich herplappernde Mitfahrerinnen, womöglich geisteskrank. Sich anschweigende, traumatisierte Ex-Ehepaare, sicher geisteskrank. Sicherheitsfirmenangestellte, die eine Gefahr für alle sind, vor allem für des Menschen besten Freund. Ist doch nichts so tödlich wie Sicherheit! Nicht alles ist Gold, das glänzt und so sucht man das goldene Wiener Herz auch vergeblich in so manch einem mit Goldketten behängten Brustkörben. Und Gold heizt sich natürlich auch ungemein schnell auf in der prallen Sonne. Noch mehr Hitze, keine Erleichterung, die Sonne strahlt ungnädig auf das Elend, soweit das Auge reicht.

Schrecken mit Ende, Ende(?) mit…

Die „Hundstage“ waren einmal, schon bei den Babyloniern und alten Ägyptern, etwas eleganter formuliert „Die Tage des Hundes“, wobei das Sternbild des großen Hundes damit gemeint war. Genauso, wie sich die Gestirne verändert haben, das Sternbild ist heutzutage im Winter zu sehen, so hat sich auch die Bedeutung des großen Hundes verändert. Vom mythologischen Jagdgefährten Orions zum gelangweilt dreinblickenden Haustier. Bleibt uns am Ende zwar nicht nur Resignation festzustellen, es gibt auch Hoffnungsschimmer, einsam wie Sterne am Himmel, so ist doch gewiss, dass die Gesellschaft immer gern nach unten tritt, und wenn der Tritt ein Schluchzen auslöst, gibt es Applaus. „Braves Schweindi, gut hast g‘sungen“.

Und endlich, wenigstens ein bisschen kühlen Regen, auch wenn es mitunter Tränen sind.

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