
Heike Specht hat mit „Die ersten ihrer Art“ eine Ode an Vorreiterfrauen geschrieben. Das Buch gibt einen Überblick über politische Pionierinnen der vergangenen 120 Jahre mit Fokus auf Deutschland, Ausflüge in internationale Politik gibt es aber auch. Anstelle von Biografien gibt es eine zeitliche Querschnittszusammenfassung, die eine lange Reihe von Frauen in eine stolze Tradition des Feminismus stellt.
„Die ersten ihrer Art“ ist eine Art von Buch, die in letzter Zeit häufig geworden ist. Historische Ausflüge, Frauen vor den Vorhang, der Versuch einer Einordnung. Besonders im englischen und amerikanischen wird diese Nische seit einigen Jahren immer größer, im deutschsprachigen Sprachraum gab es dazu bisher aber überwiegend Biografien und Biopics – zumindest gefühlt. Dass Specht hier jetzt mehr vorlegt, ist damit nichts Schlechtes, teilweise führt diese Art von Buch aber in Verführung.
Wunderlösung Feminismus
Feminismus ist wichtig und besonders inklusiver Feminismus muss ein Kernelement politischen Denkens sein, um bei der Gestaltung von Politik alle möglichen Diskriminierungen von Geschlecht, über Hautfarbe und Sexualität und Behinderungen bis zu ökonomischen und ökologischen Ungleichheiten zu berücksichtigen. Wir haben diese Pionierinnen gebraucht und wir brauchen viel mehr davon, aber trotzdem sind sie nicht unfehlbar. Hier kommt die Schwierigkeit solcher Sammelbänder hinein: Geschichte schreibt sich immer selbst, die Beurteilung ist aber erst im Nachhinein richtig möglich. Die ersten, die in „Die ersten ihrer Art“ als Erstes erwähnt werden, wurden vor teilweise über hundert Jahren geboren, sie haben vor (knapp) hundert Jahren ihre größten Kämpfe und Premieren gehabt und die Folgen ihres Handelns haben sich mindestens fünfzig Jahre lang zeigen können.
Die ersten in der ersten Republik
Wie in so vielen Ländern liegen die Anfänge der ersten folgenreichen Emanzipationsbewegungen im Ende des 19. Jahrhunderts und aus dieser Zeit stammen auch die ersten Frauen dieses Buches. Marie-Elisabeth Lüders, Louise Schröder oder Erna Scheffler kommen vor, sie haben ihre ersten politischen Anfänge auch noch vor dem Zweiten Weltkrieg gehabt. Bei Frauen wie Lüders oder Schröder sind die Errungenschaften klar. Es ist klar, was sie geopfert haben und wie sie gekämpft haben, die Biografien sind beeindruckend und motivierend. Fast alle waren irgendwo Erste. Erste Bürgermeisterin, erste Richterin, etc. Mitstreiterinnen im Parlament gab es aber mehrere, namentliche Querreferenzen gibt es überwiegend aber nur auf die abgearbeiteten Frauen.
Je mehr Zeit vergeht, umso unklarer ist die Position Spechts als Autorin zu den Protagonistinnen und auch die geschichtliche Rolle. So gibt es viele Frauen, bei denen Kritikpunkte vorkommen, allerdings meist sozusagen als indirekte Rede, Kontextualisierung davon gibt es – wahrscheinlich aus Platzmangel – nur wenig. So wird beispielsweise Ulrike Baader-Meinhof in eine Reihe von Politikerinnen und Richterinnen gestellt, die sich gegen männlichen Widerstand Schritte zur gesellschaftlichen Gleichstellung erarbeiteten und durch friedliche Konsequenz diesen Weg beschritten. Gleichzeitig befindet sich die Autorin dadurch in dem Dilemma, dass eben Terrorismus immer nur funktioniert, wenn er Aufmerksamkeit bekommt und genau das passiert damit. Baader-Meinhof hat gesellschaftlichen Wandel bewirkt, hat verändert, wie die deutsche Öffentlichkeit Frauen sieht und dennoch untergräbt die Aufmerksamkeit, die sie für ihre Herangehensweise bekommt, die inhaltliche Autorität der friedlichen Kämpferinnen.
Kann frau zu aktuell sein?
Bei den später genannten Frauen, verstärkt sich dieser Konflikt. Es wird etwas mehr Verklärung, jeder Fehler ist rein menschlich und das Zugeben davon immer ein Zeichen persönlicher Stärke. Zwar sind Fehler natürlich menschlich und es ist immer gut, wenn diese zugegeben werden und frau daran wächst, aber irgendwann wird es ein bisschen anstrengend, wie sehr die späteren und jetzigen Vorreiterinnen als tapfere Vorbilder gesehen werden. Politikerinnen wie Petra Kelly, Renate Schmidt oder Claudia Roth sind in Deutschland wohl immer noch irgendwie Teil des politischen Narrativs, ihre großen Würfe sind teilweise nicht einmal so lange her, wie der Mauerfall.
Die Aktualität des Buches, weil erwähnte Ereignisse teilweise gerade einmal wenige Monate her sind, ist beeindruckend. Aber trotzdem wird gerade das schwierig. Spätestens auf den letzten fünfzig Seiten fühlt sich alles an, als ob man es schon zehnmal gehört hätte. Wir wissen um die Verdienste von Angela Merkel, eine ganze Generation gehört zum Fanclub von Jacinda Ardern und wenn man ganz ehrlich ist, wissen wir auch noch lange nicht, welche Folgen ihre politischen Reformen haben werden. Die Zukunft wird erst zeigen, was wir jetzt bewegen. Deshalb ist es wohl doch ein bisschen mutig, in einem derartigen Sammelband bis in die tatsächliche Gegenwart zu reichen. Die Ambition daran muss man aber trotzdem schätzen und lehrreich ist „Die ersten ihrer Art“ ja auch.