Hinter den Kulissen am Max Reinhardt Seminar mit Schauspielstudentin Marlene Hauser

Foto: Philip Kelz

Die 21-jährige Marlene Hauser studiert seit knapp zwei Jahren am Max Reinhardt Seminar, einer der renommiertesten Schauspielschulen im deutschsprachigen Raum. Im Gespräch mit etc. erzählt sie, wie nervenaufreibend die Aufnahmeprüfung war, was sie an Josef Hader bewundert, und was das größte Missverständnis über ihren Beruf ist.  


Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 7. Juni 2017 auf unserer alten Homepage.

„Soll ich mir dann jetzt schon ein Autogramm holen?“ Genervt sei sie nicht von dem Kommentar, den sie als Schauspielstudentin so häufig zu hören bekommt, aber ein Schmunzeln kann sich Marlene Hauser dann doch nicht verkneifen.

Sie sitzt in der schattigen Ecke eines Gastgartens, fünf Gehminuten vom Naschmarkt. Auf den ersten Blick ist die Einundzwanzigjährige, die seit knapp zwei Jahren am Max Reinhardt Seminar studiert, eine unauffällige Erscheinung: zierlich, ungeschminkt und natürlich hübsch, das rotblonde, naturgewellte Haar in einem legeren Knoten. Ärmelloses Top und Jeans-Shorts, was man eben so trägt am bisher heißesten Tag des Jahres. Die letzten zwei Jahre in Wien, das anfangs „zu groß, zu schnell und zu viel“ für sie war, konnten ihrem oberösterreichischen Dialekt bisher nichts anhaben.

Als das Dröhnen der U4 verhallt ist, fährt sie fort. „Ich werde doch nicht Schauspielerin, um Autogramme zu geben. Da stell ich mich lieber hinten an.“ Wenn nicht Ruhm, wonach strebt sie dann? Sie würde sich freuen, weiterhin Teil von Produktionen zu sein, hinter denen sie selbst steht und die ihr Freude bereiten. Klingt simpel, ist es aber nicht, „in unserer Zeit, in der der Markt für Schauspieler immer härter wird“. Geringe Gehälter, herausfordernde Arbeitsverhältnisse, alles Dinge, über die sie sich keine Gedanken machte, als sie das erste Mal im Zuschauerraum eines Theaters saß.

Zwischen Faszination und Zweifel

Marlene und die Bühne, das war Liebe auf den ersten Blick. In Freistadt geboren und in Linz aufgewachsen, besucht sie mit ihrer Mutter von klein auf Vorstellungen des Kindertheaters. Auf Workshops folgt die Teilnahme am Jugendprojekt „Freispiel“ des Landestheaters Linz. Ein ehemaliger Lehrer, der damals im Publikum sitzt, ist erstaunt: „Kaum zu glauben, aber unsere Marlene hat alle anderen an die Wand gespielt!“

Doch sie selbst ist zögerlich. Sie hat Ehrfurcht vor den Künstler:innen dort oben im Scheinwerferlicht. Niemand in ihrer Familie ist im Kunstbereich tätig, beide Eltern sind Büroangestellte. Es dauert also bis sie eines Tages denkt, sie könnte es doch zumindest auf einen Versuch ankommen lassen. Mit achtzehn, ein Jahr vor der Matura, fährt sie nach Wien zur Aufnahmeprüfung am Reinhardt Seminar. Man hätte ohnehin frühestens beim zehnten Vorsprechen Erfolg, hat man ihr vielfach versichert.

Hunderte Bewerber, elf Zusagen

Die Prüfung ist genauso nervenaufreibend, wie man sie sich vorstellt. Drei Tage lang werden ungefähr 300 Bewerber:innen, darunter auch überraschend entspannte „alte Hasen, die bereits öfter vorgesprochen haben“, auf Herz und Nieren geprüft: Die Hürden umfassen unter anderem Monologe, Tanz, Gesang, Improvisation, und ein Gespräch. Marlene wartet drei Stunden, um dann nach gefühlten drei Minuten von der Jury unterbrochen zu werden.

Kaum aus dem Prüfungsraum bricht sie in Tränen aus, aber ihre Schauspiellehrerin am Telefon ist optimistisch. „Die wusste sofort, ich bin weiter.“

Erst am letzten Tag hat Marlene endgültig Gewissheit, dass sie neben zehn weiteren Bewerber:innen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und Luxemburg einen der hartumkämpften Plätze ergattert hat.

Drei Jahre sind seither vergangen, und nach Matura und Unterricht in Sprechen, Rollenerarbeitung, Tanz, Gesang, Körperwahrnehmung und Theatergeschichte, hat Marlene eine sehr klare Perspektive auf ihre Ausbildung und ihren Beruf. Jede Schule habe einen bestimmten Ruf, und auch vom Reinhardt Seminar habe man ihr gesagt, „da brechen sie dich – was auch immer das heißt“. Diesen Eindruck teilt sie keineswegs, sie empfindet die Atmosphäre als bestärkend. Ihr Terminkalender ist dennoch voll, auch am Wochenende.

Erst schauen, dann spielen

Zu wissen, wie das weiße Kaninchen in den Zylinder kommt, habe privaten Theaterbesuchen zwar den Zauber genommen, aber Marlene genießt es, dass sie nun genau versteht, warum eine Szene misslingt, oder mit welchen Mitteln ein Mime das Publikum in seinen Bann zieht. Ob sie uns in das Geheimnis der Schauspielerei einweiht? Für diese Antwort nimmt sie sich Zeit. Vom Nebentisch dringt Kinderlärm herüber, dumpfes Knattern kündigt die nächste U-Bahn an. Schließlich meint sie, man brauche vor allem Präzision und einen eigenen Blick. Wie sehe ich diese Figur? Und wie kann ich ihr Innenleben enthüllen? Und weil Bühnenkunst Teamwork ist, ist sie stets auf der Suche nach Kolleg:innen und Regisseur:innen, die ihre Wahrnehmung teilen.

Laut Max Reinhardt sind Schauspieler:innen Menschen, „denen es gelungen ist, die Kindheit in die Tasche zu stecken“. Eines der Ziele ihrer Ausbildung sei es, sich erlernte Hemmungen abzutrainieren, stimmt Marlene zu, und erinnert sich an den Rat einer erfahrenen Kollegin: „Wenn du an den Punkt kommst, an dem du nicht mehr weißt, warum du dir das alles antust, dann geh auf einen Spielplatz und schau den Kindern zu.“ Die unterscheiden zwar genauso zwischen Realität und Fiktion, aber geben sich letzterer dennoch mühelos hin. Was viele missverstehen: Schauspiel ist das Gegenteil von Verstellung. Marlene versucht eine Erklärung: „Man spielt und ist in diesem Moment, und beobachtet: Was macht das mit mir? Und dann entsteht erst eine Emotion.“

Held:innen der antiken Tragödie und des österreichischen Films

Was wohl die Zukunft bringt? Marlene beobachtet interessiert den aktuellen Umbruch in der Theaterszene: Geschichtenerzähler:innen treffen auf die Anhänger:innen von Performances ohne konsistente Handlung. Sie ist experimentierfreudig und würde – „und das soll jetzt nicht abgehoben klingen“ – gerne einmal alles spielen, aber im Moment ist sie besonders fasziniert von klassischen Figuren, wie der griechischen Heldin Antigone.

Sie liebt auch den österreichischen Film, weil hier, im Gegensatz zu Deutschland, auch nicht-kommerzielle Projekte realisiert werden. Zwar sei man in weit geringerem Ausmaß seine eigene Herrin als auf der Bühne, weil stets der Schnitt das letzte Wort habe, aber Beispiele wie Josef Hader zeigen, dass man sich auch auf der Leinwand treubleiben kann.

„Der ist so am Boden geblieben, und das merkt man auch daran, wie er spielt. Es gefällt mir, wenn Leute in der Schauspielwelt einen so klaren Blick auf das Ganze behalten.“

Es bedarf einiger Überredungskunst bis Marlene von einem Auftritt erzählt, der ihr gut gelungen ist. Sie mimte eine junge, naive Aktrice, die nach einer Statisten-Rolle im Tatort bereits von einer steilen Karriere träumt, und erntete begeisterte Lacher – bis die Stimmung allmählich kippte und das Gelächter verebbte. Der ausgelassene Hohn überrollt von einer Welle an Empathie. Die Zuschauer:innen begriffen: „Die ist gar nicht blöd, sondern der tut das richtig weh.“ Nach der Szene gratulierte ihr eine Kommilitonin, in Tränen aufgelöst.

Das ist die Aufgabe von Theater. Schon in dem Wort „Geschichte“ stecke „Schichten“, und diese Vielschichtigkeit gelte es zu erkunden. „Schauspiel bedeutet, etwas lebendig zu machen und zu versinnlichen, so erreicht man Leute“. Tatsächlich. Mit Autogrammschreiben hat das alles herzlich wenig zu tun.

Update

Marlene Hauser schloss ihr Schauspielstudium im Juni 2019 ab und ist heute Ensemble-Mitglied am Theater an der Josefstadt. Außerdem wirkt sie regelmäßig in TV- und Kino-Produktionen mit.

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