Ich wollte es allen beweisen

Foto: Andrzej Makal

Manche sagten, das „Mädchen mit dem süßen Lächeln“ würde es nie in die Dirigierklasse an der Musikuniversität schaffen. Heute ist Marta Gardolińska eine preisgekrönte und international gefragte Dirigentin. Die gebürtige Polin erzählt uns nicht nur von ihrer Arbeit mit dem TU-Orchester, sondern auch von dem überholten Klischee des strengen Maestros und ihren Anfangsschwierigkeiten mit der Wiener Gemütlichkeit.  


Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 10. November 2017 auf unserer alten Homepage.

Das kann doch nicht sein, denkt sie, obwohl sie eigentlich gar keine Zeit hat sich zu wundern. Hinter ihr sitzt das Publikum in Abendgarderobe; unzählige Blicke sind auf sie gerichtet, gebannt von der Choreographie ihrer Arme, die in ausladenden Bewegungen schemenhafte Konturen in die Luft zeichnen.

Marta Gardolińskas gesamte Aufmerksamkeit gilt den Musiker:innen vor sich, den Streicher:innen im Vordergrund, den Bläser:innen dahinter, und im Moment ganz besonders dem Paukisten oben in der Mitte, der nicht nur seine Schlägel in der Hand hält, sondern auch eine Kamera. Er fotografiert – sie – und hat darüber bereits zweimal seinen Einsatz verpasst.

Das darf doch nicht wahr sein, denkt sie wieder. Die Musik, erst flüsternd, schwillt stetig an, ebbt dröhnend über die Köpfe hinweg und füllt den Raum bis in die letzte Ecke. Sie spielen Beethovens 7. Sinfonie, und es ist ein wichtiger Wettbewerb.

„Ich konnte nicht verstehen, warum er mitten in der Aufführung Fotos von mir macht“. Heute kann sie darüber schmunzeln. Am Ende schenkte ihre das Orchester die Bilder, ein „sehr berührender Moment“. Eine der überaus eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigt die junge Dirigentin im
Moment höchster Konzentration, den Blick nach unten auf die Partitur gerichtet, den Dirigierstab energisch gen Himmel gestreckt.

Von der Turnhalle in den Konzertsaal

Ein Augenblick auf den die 29-jährige Polin viele Jahre hingearbeitet hat, zuerst aber in Bereichen fern der Musik. Selbstdisziplin und Ehrgeiz hat sie sich schon früh als Sportlerin angeeignet, ihr ursprünglicher Berufswunsch. „Akrobatik, Skifahren, Schwimmen, 400-Meter-Lauf – niemand dachte jemals, dass ich eine professionelle Musikerin werden würde.“

Im Sport konkurriert sie oft mit ihrem älteren Bruder, heute ein erfolgreicher Architekt „mit einer artistischen Seele“. Er wird es sein, der sie später bestärkt, als sie überlegt, Dirigentin zu werden. Musikalität liegt in der Familie, die Mutter spielt Klavier und singt („Sie ist wahrscheinlich die strengste Musikkritikerin, die ich kenne“) und der Vater spielt Gitarre („Er ist der analytische Denker“). Marta Gardolińska selbst lernt erst Klavier, dann Flöte, und mit siebzehn versucht sie es, inspiriert durch ihre Chorleiterin, mit dem Dirigieren.

„Ich glaube, die Chance eine Musikuniversität glücklich, erfüllt und gesund abzuschließen, ist sehr gering.“

Marta Gardolińska

„Was mich am Ende überzeugt hat, war eigentlich mein Ehrgeiz. Mir wurde gesagt, dass ein Mädchen mit einem süßen Lächeln wie ich niemals für’s Studium des Orchesterdirigierens an der Musikuniversität angenommen werden würde. Und ich entschied, allen das Gegenteil zu beweisen.“ Sie studiert zuerst an der Frédéric Chopin Musikuniversität in Warschau. Später setzt sie ihre Ausbildung an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien fort, eine Zeit, die sie nicht nur in guter Erinnerung hat. Die ununterbrochene Kritik, nicht immer konstruktiv, trägt sie noch heute mit sich herum. Ihr Fazit aus dieser Zeit ist ernüchternd:
„Ich glaube, die Chance eine Musikuniversität glücklich, erfüllt und gesund abzuschließen, ist sehr gering.“ Ihr weiterer Weg führt sie durch die halbe Welt: angesehene Musikfestivals und Dirigierschulen in den USA, Kooperationen mit Simone Young oder Erwin Ortner, Auftritte in Österreich, Polen und Mexiko.

Foto: Radek Swiatkowski, Annamaria Kowalsky

Nun lebt Marta Gardolińska in Wien – dem Place To Be für klassische Musiker. Anfangs war das nicht leicht für die gebürtige Warschauerin, denn die lässige Wiener Lebensweise steht in diametralem Gegensatz zur
pulsierenden Hektik der polnischen Hauptstadt. Mittlerweile hat sie sich aber mit der hiesigen Gemütlichkeit angefreundet. Außerdem hat sie hier auch gelernt, wie man richtig an die Schlichtheit der Musik Haydns,
Mozarts und Beethovens herangeht.

Ihre Heimat vermisst sie dennoch. Auch deshalb widmet sie sich dem Ziel, die vergessenen Werke polnischer Komponist:innen in Europa bekannter zu machen, wie das Orchesterkonzert von Witold Lutosławski, das sie bei ihrem italienischen Debüt vergangenen September am Teatro Lirico Verdi di Trieste dirigierte. Im Allgemeinen mag sie Werke mit farbenreicher Instrumentation von Ravel, Rimsky-Korsakov, Debussy, oder Respighi, aber sie bewundert auch die klaren und durchdachten Formen der Wiener Klassik. (Privat ist ihr übrigens alles recht, wozu man tanzen kann – Hip Hop, Dancehall, Salsa, dann kann sie sogar „schreckliche Songtexte, übermäßig vereinfachte Struktur und falsche Akkordfolgen ignorieren.“)

Den Stereotyp des aufbrausenden, herrischen Dirigenten hält Marta Gardolińska für völlig überholt.

Marta Gardolińskas Vorbilder sind gefeierte Dirigent:innen wie der Italiener Claudio Abbado, der erheblich zur Abschaffung des Klischees des Tyrannen-Maestros beitrug, oder der Österreich-Amerikaner Carlos Kleiber („die beste Technik, eine faszinierende Persönlichkeit und Charisma“), aber auch die Amerikanerin Marin Alsop, Gründerin der TAKI Concordia Foundation zur Förderung von Dirigentinnen, an der Gardolińska selbst Associate Fellow ist.

Den Stereotyp des aufbrausenden, herrischen Dirigenten hält sie übrigens für völlig überholt, und überhaupt gibt es so einige Missverständnisse, mit denen sie gerne aufräumen würde. Nein, sie ist nicht überflüssig und
„wedelt nicht nur mit den Armen herum“, und außerdem passiert der größte Teil ihrer Arbeit außerhalb des Konzertsaals. Sie verbringt Monate damit, Partituren bis ins kleinste Detail zu studieren, Proben vorzubereiten, ein Konzept für Kompositionen zu entwickeln. Dafür liest sie sich in den historischen und kulturellen Kontext der Entstehungszeit der Werke ein. Von übertriebenen Gagen kann daher keine Rede sein.

Wer den Berufsweg des Dirigierens einschlagen möchte, hat einiges an Arbeit vor sich, um „sich das Recht zu verdienen, anderen zu sagen, wie man Musik macht.“

Marta Gardolińska

Tatsächlich kämpft sie in ihrem beruflichen Alltag mit denselben Herausforderungen wie andere Selbstständige: ein Mangel an Stabilität, der stete Wechsel zwischen extremer Überarbeitung und Untätigkeit,
der ständige Zwang zur Selbstinitiative. Das berufliche Anforderungsprofil für Dirigenten ist vielfältig: Kommunikationsfähigkeit, aufmerksames Zuhören, Respekt, kombiniert mit exzellenter Vorbereitung und einer Sensibilität für Musik. Außerdem „sollte man Dinge nicht sofort persönlich nehmen. Versuch dich in die Situation des Musikers hineinzuversetzen. Du kennst nie seine ganze Geschichte.“ Wer den Berufsweg des Dirigierens einschlagen möchte, hat einiges an Arbeit vor sich, um „sich das Recht zu verdienen, anderen zu sagen, wie man Musik macht.“

Und warum gibt es in der Sparte so viel weniger Frauen als Männer? Es ist schwieriger für Dirigentinnen eine erfolgreiche Karriere zu haben, vor allem „weil ihnen in den meisten Situationen nicht sofort Vertrauen
entgegengebracht wird“. Die Ausbildung, künstlerische Reifung und Entdeckung von Dirigentinnen, die dann Vorbilder für spätere Generationen sein können, brauchen Zeit. Quoten sieht sie aber kritisch, denn die bergen das Risiko fauler Kompromisse was die musikalische Qualität betrifft. Auf persönlicher Ebene sieht sie manchmal sogar positive Nebeneffekte: „Ich weiß, dass mir manchmal die Neugier zugutekommt. Es ist nicht so einfach, eine Dirigentin zu vergessen.“

Das Orchester der Technischen Universität Wien

Seit diesem Jahr dirigiert Marta Gardolińska das Orchester der Technischen Universität Wien. Der musikalische Vorstand hat sich eine besondere Regel auferlegt: Die Dirigenten:innenstelle wird alle drei Jahre
neu besetzt, man will so vielen Talenten wie möglich eine Chance bieten.

Konzert des TU Orchesters im Juni 2017 / Foto: Magdalena Schwarz

Im Juni 2017 fand das Einstandskonzert im beeindruckenden Kuppelsaal der TU Wien statt, dessen knapp 200 Jahre alte Deckenkonstruktion an
den auf den Kopf gestellten Rumpf eines alten Holzschiffs erinnert. Marta Gardolińska wählte ein stimmiges aber herausforderndes Programm,
eingeleitet von einer eher unbekannten Ouvertüre des polnischen Komponisten Stanisław Moniuszko. Im kommenden Dezember folgt das Winterkonzert, diesmal mit einem klassischeren Repertoire, und in
der weiteren Saison stehen für die Dirigentin Debütkonzerte in Polen und Armenien an, dazu zwei Musikwettbewerbe.

Abschließend meint Marta Gardolińska, es gäbe noch so einiges zu besprechen, was die Missverständnisse über ihren Beruf angeht. Aber dann schweigt sie doch. „Vielleicht bewahren wir lieber noch etwas von dem Mysterium.“

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